Altarverhüllung in der Paul-Gerhardt-Kirche, Berlin
28. Februar – 22. November 2020

Glaube.Liebe.Revolution.

Christus als blauer Blitz

Der Künstler Klaus Killisch ist bekannt dafür, hochgeistigen Stoff unterhaltsam zu präsentieren. Das ist traditionell bei ihm eine malerische Angelegenheit, die unterfüttert wird mit ausschweifendem popmusikalischem Interesse und der besonderen Begabung, mit Hammond-Orgel und Fender-Gitarre (Marke: Eigenbau) enthusiastische Neugierde und Klangforschung aufs Feinste zu verschmelzen.

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Killisch gelingt es immer wieder, komplizierte Themen auf amüsant unangestrengte Weise zu präsentieren. Sein Stil des Aufbrechens beziehungsweise der Überlappung von Kategorien ist sein aufklärerischster Akt. Sein Formbewusstsein ist bis heute beeindruckend.

Das betrifft auch Killischs Altarbildverhüllung in der Paul-Gerhardt-Kirche, Berlin-Prenzlauer Berg.

Aber anders als das klassische Fastenvelum, das die körperliche Buße des Fastens mit der geistlichen zu verknüpfen anregt, ist Killischs Ansatz einer der Beeindruckung und der protestantischen Exegese. Killisch ist der erste Künstler im Rahmen des Projekts, der sein Konzept auf einem Zitat der Darstellung des auferstandenen Christus von Gerard Noack (1910), das den Altar der Paul-Gerhardt-Kirche normalerweise ziert, aufbaut.

Formal offeriert Killisch eine Mischung aus collagierten fotografischen Elementen und Malerei. Inhaltlich bekennt er sich auf Basis der Bergpredigt zur Trinität von Glaube, Liebe und kontemplativer Revolution. Er ist ein Kenner der amerikanischen Hippie-Kultur. Er liebt ihre anmaßenden musikalischen Inszenierungen, ihre improvisationsgesteuerte Deregulierung der Verhältnisse, den Jam des Unberechenbaren. Seine Bildkomposition atmet den Geist friedlich-freundlich-erweckter Weltverbesserer. Malerisch beschwingt, preist Killisch ein Christsein, das er gebunden sieht an das Ethos der Tat, so wie es zum Beispiel über alle politischen und Konfessionsgrenzen hinweg vorbildhaft von Frère Roger, seiner Ordensgemeinschaft im französischen Taizé und Tausenden Anhängern weltweit gelebt und durch die großen Jugendkonzile seit den 1970er Jahren gefeiert wurde.

Den Bildgrund hat Killisch teilweise mit Textblättern tapeziert.

Formulierungen christlicher, reformistischer, kommunistischer, pop-rebellischer und anarchistischer Denkansätze stehen einträchtig beieinander: Bibelstellen, das Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx, ein Dadaistisches Manifest, Noten des Songs „Revolution“ von den Beatles, Aufrufe des Neuen Forums sowie ein Ausriss aus der „Dialektik der Aufklärung“ von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, jener philosophischen Gesellschaftsanalyse, die antikapitalistisch ausgerichtet war, aber ohne kommunistische Revolutionshoffnung auskam, immun gegenüber Moskauer Sirenengesängen blieb und in Killischs Bild den Rahmen der Debatte abgibt.

Genau 30 Jahre nach dem Mauerfall kombiniert Killisch Auferstehungshoffnungen und die geistigen Weichenstellungen für gesellschaftlichen Wandel in einem Tableau. Er setzt damit auch jenen oppositionellen Gruppen ein Denkmal, die sich 1989 in der Paul-Gerhardt-Kirche trafen und deren aktivistisches Denken der Tat sich herleitete aus christlicher Botschaft.

Eine Christusdarstellung als grob gerastertes Pixel-Repro – solch eine künstlerische Entscheidung mag ungewöhnlich sein.

Das Unorthodoxe dieses entschieden modernen Bildes besteht in der Mischung der Texte, die Killisch vornimmt, deren subversive Qualitäten er der aufstrebenden Christusfigur unterschiebt und im Farbnebel aufgehen lässt.

Über einen wasserbasierten Dreiklang aus Orange, Gelb und Blau, in perfekter Balance und präziser Dosierung, mit offensiven Passagen und auslaufenden Farbnasen, hat Killisch eine drei Meter lange blaue LED-Lichtlinie gesetzt. Strebt sie auf oder stürzt sie ab? Wer weiß.

Sie schlägt in das Halbdunkel der Kirche ein wie ein Blitz. Ihre Leuchtkraft drängt alle Binnenelemente des Bildes zurück. Übrig bleibt ein peitschenartiger Bewegungsimpuls.

Das Rätsel der Auferstehung und die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Zeitschichten der Manifeste in Kombination mit der Wucht des blauen Flashs signalisieren Unentrinnbarkeit.

Killischs Idee entfaltet eine profane Suggestion im Raum, die den Betrachter mobilisieren und ihm vermitteln soll, dass das Herauslösen eines Individualschicksals aus Erstarrung möglich ist, also das, was ist, nicht bleiben muss, wie es ist.

Christoph Tannert, 2019

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Klaus Killisch, Glaube.Liebe.Revolution. 2020, Paul-Gerhardt-Kirche, Berlin-Prenzlauer Berg
Plakat, 2020

Veranstaltungen

Freitag, 28. Februar, 18 Uhr
Eröffnung
mit Klaus Killisch und Pfarrerin Almut Bellmann
Einführung: Christoph Tannert, künstlerischer Leiter des Künstlerhaus Bethanien, Berlin
Musikalische Gestaltung: Maximilian Schnaus, Maria-Magdalena Wiesmaier, Improvisationen für Orgel, Cello und Elektronik

Dienstag, 24. März, 19:30 Uhr
Das Bild des Kreuzes ist das Ende aller Bilder
Buchpräsentation »PASSION« und Gespräch mit Dr. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Klaus Killisch und Pf. Almut Bellmann

Sonntag, 29. März, 15 Uhr
Konzert
Weicht, ihr Trauergeister European Bachensemble
Ensemble Callinus Musikalische
Leitung: Kim Nguyen

Donnerstag, 9. April, 20 Uhr
Konzert
Making Love Revolutionary
Enkidu rankX, UrKi, Klaus Killisch
Soundscapes und Improvisationen mit Synths und Gitarre
Im Anschluss: Finissage mit Brot und Wein

12. April, 9:30 Uhr
Ostersonntag
Familiengottesdienst mit Enthüllung des Altarbildes

Aufgrund der besonderen Situation während der Pandemie, wurden bis auf die Eröffnung alle Veranstaltungen abgesagt. Die Altarverhüllung blieb bis zum Totensonntag aufgebaut.

Presse: Berliner Zeitung, DER SONNTAG, Weltkunst

 

Titelfoto: Stephanie Neumann, Atelier Klaus Killisch, 2019