FRAGMENTE

Entwurf für die temporäre Gestaltung am Erinnerungsort KZ Columbia, Flughafen Tempelhof, Berlin

In fragmentierter Form werden Eckelemente eines Dreiecks aus weißem Beton aufgestellt, zwei davon liegend aus dem Lot und eine Dreiecksform als deutlich sichtbares Zeichen, schräg stehend. Die Fragmente sind leicht zueinander versetzt, ähnlich einem zerbrochenen Winkel. Durch ihre Größe und die weiße Farbe setzen sich die drei Elemente deutlich gegen die optischen Überwältigungen der Architektur im Hintergrund ab. Sie sind auf der schrägen Ebene platziert und daher vom Radweg und der Strasse aus gut sichtbar. Zusammen markieren sie einen begehbaren Platz: den Erinnerungsort. 

Sie erinnern an die Fragmente alter Bunkeranlagen an der Atlantik- und Nordseeküste. Anders als diese sind sie aber nicht zurückgebliebene und verfallene Reste der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern neue Bauteile – gradlinig, geometrisch. Die scheinbar aus der Erde aufsteigenden Betonfragmente symbolisieren vielmehr bildhaft die fragmentarischen Erinnerungen, die an diesem mit dem Flughafen überbauten und anders gewidmeten Ort, wieder hervorbrechen.

Vergessen kann sich nicht einstellen

Wie Jean Améry schreibt:  „Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes austreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht ‚auf sich beruhen lassen‘, weil sie sonst aufstehen kann und zu neuer Gegenwart werden könnte.“ Deshalb schlagen wir ein deutliches Zeichen in der oben beschriebenen Größe und Form, vor. Ein kräftiges Zeichen des heutigen Bürgerwillens, den Dialog über das KZ Columbia und über das System der KZ ´s fortzuführen und daran zu erinnern.

Der fragmentierte Winkel

Die SS entwickelte ein System der Kennzeichnung aller Häftlinge in den Konzentrations-lagern. Dazu hatte die Häftlinge einen 4 cm breiten und ca. 12 cm langen Stoffstreifen auf die linke Brustseite der Jacke anzubringen. Der Stoffstreifen zeigte die Häftlingsnummer und ein auf der Spitze stehendes Dreieck, den sogenannten Winkel. Die Winkel hatten unterschiedliche Farben und sollten die Menschen in Kategorien einteilen und entindividualisieren. Die Farbe des Winkels bestimmte den Grad der Terrorisierung der Inhaftierten durch die SS. Diese Kategorisierung durch den Winkel und die Häftlingsnummer steht damit für die Entmenschlichung des nationalsozialistischen Regimes.

Der Entwurf für den Erinnerungsort KZ Columbia nimmt den Winkel als ein zentrales und bekanntes Symbol für die menschenverachtenden Verbrechen in den Konzentrationslagern auf. Die Erinnerung an das KZ-Columbia ist zwar fragmentarisch. Obwohl dieses Konzentrationslager nur wenige Jahre existierte und dann abgerissen wurde und viele wichtige Dokumente vernichtet wurden ist es dennoch erstaunlich, wieviel an Informationen darüber zusammengetragen wurden und weiter werden. Wieviel wir wissen könnten, ist abhängig davon, ob wir es denn wissen wollen. Dieses „Wissen-Wollen“ ist für uns entscheidend. So ist zu hoffen, daß wir mit dem fragmentierten Winkel, dem Erinnerungsort, in Zukunft mehr Menschen zu diesem „Wissen-Wollen“ und zur Beschäftigung mit der Vergangenheit anregen.

Die weißen Winkel auf dem Radweg

Auf dem viel frequentierten Geh- und Radweg vor dem Böschungsbereich sind weitere gleichseitige weiße Dreiecke als Winkelsymbole auf dem Asphalt aufgebracht. Sie erweitern den Erinnerungsort um die Betonskulptur in den alltäglichen Nutzungsbereich vieler Menschen und konfrontieren sie mit der überbauten und zum großen Teil vergessenen Geschichte des Ortes.

Idee, Planung: DAS KOLLEKTIV

Entwurf für die zweite Stufe des Wettbewerbes, 2020

Technik: Betonfertigteile auf Fundament, Straßenmarkierungsfarbe auf dem Geh- und Radweg

Standort: Flughafen Tempelhof, Berlin